Bedingungsloses Grundeinkommen – Ein besserer Solidaritätszwang als bisher

«Fast jeder wird in der Lage sein, in der sich diese Bergarbeiter befinden [deren Arbeit durch Maschinen automatisiert wird], und das ist gut so. (…) Wir brauchen ein neues Wertesystem und eine neue Politik, die den Anspruch einer Person auf eine Existenz davon trennt, dass sie lukrative Arbeit macht, für die jemand bezahlen will. Viel von dieser Arbeit verschwindet. (…) Wir sprechen davon, dass die Notwendigkeit, gefährliche, langweilige, repetitive Arbeit zu verrichten, beseitigt wird, und die Leute dadurch frei sind, interessante, kreative, spaßige Dinge zu tun. Was könnte daran schlecht sein? (…) Wir sollten uns nicht von der Vorstellung versklaven lassen, dass sie Arbeit brauchen, (…) dass diese Arbeit um jeden Preis weiterhin existieren muss, egal, was die Konsequenzen für die Umwelt sind, egal, was die gesundheitlichen Konsequenzen sind, egal, wie uns das den Weg zu guten Dingen versperrt, die wir wollen.» -Sam Harris

Was ist der Zweck des Wirtschaftens? Wir behaupten: dass wir alle mindestens ausreichend versorgt sind. Erfüllt das aktuelle System diesen Zweck so gut wie möglich? Nein, so kann man das nicht sagen. Auch in den westlichen Industrienationen gibt es immer noch reichlich Armut, viele Leute haben zu wenig zum Leben, müssen jeden Cent zwei Mal umdrehen. Wir sprechen nicht bloß von Einkommens- und Vermögensungleichheit, sondern davon, dass viele Leute – darunter selbst Leute mit Vollzeitstelle – regelmäßig zu wenig Geld für grundlegende Ausgaben haben.

Woran liegt das? Sind diese Leute zu dumm, um Geld zu verdienen? Nein, es gibt keine Korrelation zwischen Dummheit und Armut. Studien haben gezeigt, dass Kurse, die Leuten beibringen, wie man besser mit Geld umgeht, wenig bis gar nicht gegen Armut helfen. Doch wir müssen uns fragen: Spielt das überhaupt eine Rolle? Selbst wenn Leute zu dumm und unfähig wären, um Geld zu verdienen, würde es das rechtfertigen, dass wir ihnen jegliche Existenzgrundlagen entziehen und sie so einem Zustand aussetzen, der für die psychische und physische Gesundheit absolut verheerend sein kann?

Solidaritätszwang? Gott bewahre!

An dieser Stelle kommt oft folgender Einwand: Das würde ja heißen, dass man den Leuten einfach so Geld geben müsste, ein bedingungsloses (kreisch!) Grundeinkommen! Man könne doch niemanden zwingen, für die Lebensgrundlagen anderer zu sorgen! Das ist bei genauer Betrachtung ein reichlich merkwürdiger Einwand, denn die Situation, dass man gezwungen ist, sich für die Gesellschaft zu engagieren, haben wir schon lange. In unserem System ist man dazu gezwungen, Arbeit zu verrichten, für die andere bezahlen möchten. Man muss also an die anderen denken und ihnen einen Mehrwert bieten.

Und diese Grundidee ergibt auch absolut Sinn, denn wir sind als Gesellschaft voneinander abhängig. Wir schützen, pflegen, retten, befördern, beraten, unterrichten, versorgen einander. Denken Sie einmal darüber nach, wie viele Menschen es gibt, ohne die Sie Ihren typischen Tag nicht so bestreiten könnten, wie Sie es tun. Niemand wird ohne andere Menschen reich. Wir sind alle aufeinander angewiesen, und wir haben bereits jetzt ein System, das dem Rechnung trägt. Die Sache ist nur: Es könnte noch besser sein.

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Erfüllt unser System seinen Zweck?

Aktuell verlässt man sich immer noch auf Adam Smiths magische unsichtbare Hand des Marktes, auf die Trickle-Down-Theorie, die automatisch den größtmöglichen Wohlstand für alle herbeiführen soll, wenn alle nur ausgiebig an sich selber denken. Adam Smiths System war darauf ausgerichtet, den Zwängen des Merkantilismus zu entkommen. Es gibt eine bessere Alternative. Wenn wir die Leute ja sowieso bereits zwingen, anderen einen Mehrwert zu bieten, dann können wir das auch direkter, effektiver und menschenfreundlicher machen. Wir zahlen alle ein und kriegen alle etwas, sodass absolut sicher ist, dass alle ausreichend versorgt sind. Ein Wirtschaftssystem, das das nicht zum Ziel hat, hat seinen Zweck verfehlt.

Wer es unmenschlich findet, von im exzessiven Überfluss lebenden Menschen höhere Steuern zu verlangen, der soll uns erklären, warum es menschlicher ist, stattdessen Menschen die Lebensgrundlagen vorzuenthalten, wenn sie niemandem dienen, der ihnen für ihre Zeit und Kraft genug bezahlt. Der Einwand „Aber das können sie ja einfach machen“ klingt wie „Ja, Gott droht mit der Hölle, aber man kann ihm ja einfach gehorchen“. Haben wir Menschenrechte oder Leistendenrechte? Wenn jemand argumentiert, sein Geld gehöre nur ihm allein und niemand habe das Recht, ihn zu zwingen, einen Teil davon für andere einzusetzen, könnte ein anderer genauso gut argumentieren, seine Zeit und Kraft gehörten ihm allein und er könne nicht gezwungen werden, diese für andere einzusetzen.

Armut als Charakterlosigkeit

Hier kommt dann oft ein zweiter Einwand: Ein Grundeinkommen würde das eigentliche Problem nicht lösen. Der Geldmangel sei nicht das eigentliche Problem bei Armut, es ginge vielmehr darum, dass den Leuten der Antrieb fehle. Dieser Einwand basiert immer komplett auf Intuition und/oder subjektiver Interpretation persönlicher Erfahrungen mit einzelnen Armen. Vor allem aber wird hier das eigentliche Problem sehr merkwürdig definiert. Fakt ist: Die Leute haben zu wenig Geld, und um dieses Problem zu lösen, brauchen sie mehr Geld. Falls ihnen zusätzlich der Antrieb fehlen sollte, ist das kein Grund, ihnen das Geld, das sie zum Leben benötigen, nicht zu geben, nur weil es ein zusätzliches Problem nicht auch gleich noch lösen würde.

Einerseits ist finanzielle Sicherheit gut für die Psyche und kann sehr wohl für Antrieb sorgen, während Zwang und Angst gerne mal krank machen und lähmen. Und wenn Leute arm sind und psychologische Probleme haben, dann brauchen sie psychologische Hilfe UND Geld, nicht nur psychologische Hilfe. Dieser Einwand ist ethisch ziemlich bedenklich, da er das eigentliche Problem in der fehlenden Produktivität sieht anstatt darin, dass die Leute nicht genug zum Leben haben. Ja, vielleicht würden manche das Geld für Drogen und Sex verprassen. Aber auch das ist kein Grund, den Leuten grundsätzlich die Möglichkeit vorzuenthalten, dass sie auch dann für ihre Grundbedürfnisse sorgen können, wenn sie keiner Arbeit nachgehen, für die ihnen jemand genug Geld geben würde. Man kann Menschen ja nicht zwingen, sich für die Allgemeinheit zu engagieren, oder wie war das?

Die Argumente schwinden

Und an dieser Stelle tritt nun ein besonders gewichtiges Argument für ein Grundeinkommen zutage: Die Arbeit, die wir wirklich brauchen, wird immer weniger. Mit der zunehmenden Automatisierung gibt es immer und immer weniger Argumente dafür, dass Menschen arbeiten müssen, geschweige denn dafür, dass sie 48 Wochen im Jahr 42 Stunden die Woche oder mehr malochen müssen. Wir dürfen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir weniger arbeiten müssen. Wir haben die Arbeit maximal romantisiert, damit wir damit möglichst gut klarkommen, und dabei müssen wir aufpassen, dass wir aus ihr kein bedingungsloses Dogma machen. Wenn wir weniger arbeiten müssen, dann dürfen wir das dankend annehmen. Immer weniger Arbeitszeit und immer weniger Jobs werden benötigt, und deshalb ist unser aktuelles Konzept des Arbeitszwanges nicht zukunftstauglich.

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Praxisversuche und Studien suggerieren, dass ein Grundeinkommen nicht zum Zusammenbruch einer Wirtschaft führt. Die Kennzahlen, die das Bruttoinlandprodukt nicht misst, die aber für die Messung des Erfolgs einer Wirtschaft wirklich entscheidend sind, verbessern sich nachweislich, wenn ein Grundeinkommen eingeführt wird: Den Leuten geht es besser, sie sind besser gebildet, mental und körperlich gesünder, und natürlich geben sie sich mit dem Leben an der Armutsgrenze nicht zufrieden. Sie arbeiten, sie sind innovativ, sie investieren das Geld und kurbeln damit die Wirtschaft an und schaffen neue, sinnvollere Arbeitsplätze.

Es spielt keine Rolle, welche Konsequenzen eines Grundeinkommens wir persönlich intuitiv erwarten würden. Was zählt, sind die harten Fakten, und da sind die Studien deutlich. Zu denken, dass alle Menschen alle wichtigen Dinge einzig und allein des Geldes wegen tun, zeugt von einer regelrechten Misanthropie, von einem Pessimismus, dem jegliche Grundlage fehlt.

Es ist Zeit für das Grundeinkommen

Nein, das Ziel ist kein nordkoreanischer Kommunismus. Es geht hier nur um einzelne Wirtschaftsreformen, die unser System sinnvoller und menschlicher machen, die den Solidaritätszwang, den wir bisher ineffizient als Arbeitszwang umgesetzt haben, in etwas weitaus Effektiveres verwandeln. Ersetzen wir die unsichtbare Hand des Marktes durch eine sichtbare Hand der Wohltat, reinigen wir die verstopften Ritzen der Trickle-Down-Wirtschaft und implementieren wir eine Trickle-Up-Wirtschaft. So könnte die Wirtschaft sich auf ihren eigentlichen Zweck besinnen und ihn wahrhaft effektiv verfolgen. Es wäre aus rationaler und ethischer Sicht besser, und es ist höchste Zeit.

„‘Das Vorurteil der Sklaverei beherrschte den Geist von Aristoteles und Pythagoras‘, hat man verächtlich geschrieben, und doch sah Aristoteles voraus: ‚Wenn jedes Werkzeug auf Befehl oder auch vorausahnend das ihm zukommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus‘ Meisterwerke sich von selbst bewegten, oder die Dreifüße des Hephaistos aus eigenem Antrieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Webschiffchen von selbst webten, dann bräuchte der Werkmeister keinen Gehilfen, die Herren keine Sklaven.‘

Der Traum des Aristoteles ist heute Wirklichkeit geworden. Unsere Maschinen verrichten feurigen Atems, mit stählernen, unermüdlichen Gliedern, mit wunderbarer, unerschöpflicher Zeugungskraft, gelehrig von selbst ihre heilige Arbeit; und doch bleibt der Geist der großen Philosophen des Kapitalismus beherrscht vom Vorurteil des Lohnsystems, der schlimmsten Sklaverei. Sie begreifen noch nicht, daß die Maschine der Erlöser der Menschheit ist, der Gott, der den Menschen von den sordidae artes, den schmutzigen Künsten und der Lohnarbeit loskaufen, der Gott, der ihnen Muße und Freiheit bringen wird.“ –Paul Lafargue

 

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