Gedankengärung – so solltest du Ideen präzisieren und prüfen

Das Wichtigste in Kürze:

      • Mit „Gedankengärung“ meinen wir die effektive Präzisierung und Prüfung von Ideen.
      • Bewährte Methoden der Gedankengärung sind das Ausformulieren und der Diskurs.
      • Besonders effektiv geht die Gärung durch das Ausformulieren mit Verantwortlichkeit und den Diskurs anhand der Synthese vonstatten.  

 

In der Rubrik „Gefühlte Wahrheit“ warnte die Süddeutsche Zeitung kürzlich implizit davor, „unausgegorene“ Gedanken ins Netz zu stellen. Das regte uns dazu an, darüber zu schreiben, wie man Gedanken eigentlich „ausgärt“, also effektiv eine Idee präzisiert und wahrheitsgetreuer macht.

Eine Idee geistert in deinem Kopf herum. Du hast eine Vermutung, eine Hypothese. Oder vielleicht ist es auch ein Glaubenssatz, den du schon länger mit dir herumträgst. Was ist diese Idee genau – und was ist an ihr dran? Wenn du das so effektiv wie möglich herausfinden möchtest, gibt es zwei erprobte Vorgehensweisen, die dir helfen können. Kombiniere die beiden Ansätze für maximale Effektivität!

Gärungsmethode 1: Ausformulieren

Oft sind unsere gedanklichen Ansichten ein bisschen wie Quantenteilchen: Solange wir nicht genau hinschauen, können wir nicht so recht sagen, was wir nun wirklich glauben und was nicht, welche Argumente wir nun für wirklich schlagkräftig halten und welche nicht. Solange wir Ideen nur im Kopf bewegen, bleiben sie eher diffus und unklar. Um nun Klarheit in diese Gedankensuppe zu bringen, lohnt es sich, die zu klärenden Gedanken auszuformulieren. Aussprechen ist schon super, aufschreiben noch besser.

Beim Formulieren muss man in der Gedankensuppe fischen und die festen Teile einfangen. Man muss sich das wilde Treiben im eigenen Kopf genau ansehen und es dann abzeichnen, als eine kohärente Form. Das hilft enorm dabei, zu bestimmen, was man nun eigentlich denkt und was nicht. Und dabei wird einem auch oft schon das eine oder andere klar. Eine Überlegung stellt sich vielleicht als sehr schwach oder inkohärent heraus, wenn man versucht, sie auszuformulieren – weg damit. Eine andere wiederum erweist sich als wunderbar passendes Puzzlestück im grossen Ganzen oder bahnbrechende neue Erkenntnis. So kommt Ordnung ins Gehirn und unsere Idee nimmt Form an und wird ein erstes Mal geschliffen. 

Maximale Gärung: Ausformulieren mit Verantwortlichkeit

Die Ausformulierungsweise mit der höchsten Chance auf maximale Gärung ist das Ausformulieren mit Verantwortlichkeit. In Studien hat der Psychologe Philip E. Tetlock herausgefunden, wie man sogenanntes exploratorisches Denken maximal fördern kann. Beim exploratorischen Denken ziehen wir verschiedene Schlussfolgerungen in Betracht, sind gewissenhafter, systematischer und selbstkritischer, lassen uns weniger zu vorschnellen Schlüssen verleiten und passen unsere Ansichten als Reaktion auf neue Erkenntnisse eher an. Damit das bei uns Menschen bestmöglich gefördert wird, müssen folgende drei Bedingungen erfüllt sein:

  • Wir müssen vor dem Bilden unserer Meinung erfahren, dass wir uns vor einem Publikum werden rechtfertigen müssen.
  • Wir dürfen den Standpunkt dieses Publikums nicht kennen.
  • Wir müssen davon ausgehen, dass das Publikum gut informiert ist und ein Interesse an Richtigkeit hat.
Siehe auch:
Nazikeule & Co.: Schubladendenken erklärt + 5 Vorschläge dagegen

Die Leute in Tetlocks Studien mussten einen Gerichtsfall beurteilen. Wenn nur schon eine der drei genannten Bedingungen nicht erfüllt war, neigten sie dazu, schlampig, aus dem Bauch heraus und konfirmatorisch zu denken. Letzteres bedeutet, dass sie einseitig versuchten, einen bestimmten Standpunkt zu rationalisieren.

Wenn du also deine Gedanken so rigoros wie nur möglich präzisieren und prüfen willst, dann solltest du über sie bloggen oder über sie Vorträge halten, für Leute, von denen dir kein klarer Standpunkt zum Thema bekannt ist und von denen du aber weißt, dass sie informiert und kritisch sind. Vielleicht hilft es aber auch schon, wenn du dir vorstellst, unter solchen Bedingungen zu formulieren.

Gärungsmethode 2: Diskurs

Es gibt haufenweise Belege dafür, wie fehleranfällig das menschliche Denken oft ist. Besonders stark ist die bereits erwähnte Tendenz zum konfirmatorischen Denken, der sehr schwer beizukommen ist. Unsere Ideen behandeln wir oft wie Schätze und sind ziemlich blind für ihre Schwächen. Und ein einzelner Mensch hat nun einmal auch ein begrenztes Wissen und einen begrenztes Vorstellungsvermögen. Deswegen muss jede Person, die ihre Ideen ernsthaft ausgären will, diese von anderen Menschen prüfen lassen.

Unausgegorene Gedanken sollten anderen vorgesetzt werden, damit wir den Grad ihrer Unausgegorenheit überhaupt erst einmal richtig einschätzen können und sie dann durch die Korrekturen, Ergänzungen und anderen Sichtweisen anderer gären lassen können. Damit die Diskussionen mit anderen Menschen möglichst viel zur effektiven Prüfung und Präzisierung der eigenen Meinungen beitragen, kann man sich beim Diskutieren zum Beispiel an den folgenden 12 Regeln von Philosoph Karl Popper orientieren. Er nannte sie die „Rechte und Pflichten derer, die von ihren Mitmenschen lernen wollen“:

  1. Jeder Mensch hat das Recht auf die wohlwollende Auslegung seiner Worte.
  2. Wer andere zu verstehen sucht, dem soll niemand unterstellen, er billige schon deshalb ihr Verhalten.
  3. Zum Recht ausreden zu dürfen, gehört die Pflicht, sich kurz zu fassen.
  4. Jeder soll im Voraus sagen, unter welchen Umständen er bereit wäre, sich überzeugen zu lassen.
  5. Wie immer man die Worte wählt, ist nicht sehr wichtig. Es kommt darauf an, verstanden zu werden.
  6. Man soll niemanden beim Wort nehmen, wohl aber das ernst nehmen, was er gemeint hat.
  7. Es soll nie um Worte gestritten werden, sondern um die Probleme, die dahinterstehen.
  8. Kritik muss immer konkret sein.
  9. Niemand ist ernst zu nehmen, der sich gegen Kritik immunisiert hat.
  10. Man soll einen Unterschied machen zwischen Polemik, die das Gesagte umdeutet, und Kritik, die den anderen zu verstehen sucht.
  11. Kritik soll man nicht ablehnen, auch nicht nur ertragen, sondern man soll sie suchen.
  12. Jede Kritik ist ernst zu nehmen, selbst die in böser Absicht vorgebrachte: Denn die Entdeckung eines Fehlers kann uns nur nützlich sein.
Siehe auch:
3 falsche Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit, die gerade herumgeistern

(aus „Aufklärung und Kritik“ von 1994)

Es gibt noch viele weitere Tipps und Tricks, die die Gärung von Ideen durch die Diskussion verbessern. Du findest viele davon in unserer Serie zum Buch „How to Have Impossible Conversations“.

Maximale Gärung: Die Synthese

Um die Wahrheitssuche auf die Spitze zu treiben, bietet sich das Format der Synthese an. Dabei handelt es sich um eine philosophische Dialogform, die dazu dient, Ideen zu prüfen. Sie ist auf maximale Gärung ausgelegt und benötigt zwei Partner, die einander ehrlich helfen wollen.

Schritt 1: Rollenverteilung
Eine Person nimmt die Rolle des Ideengebers ein, die andere die des Prüfers.
Schritt 2: Präsentation der Idee
Der Ideengeber nennt die Idee, die geprüft werden soll. Das kann z.B. eine Hypothese oder ein Argument sein.
Schritt 3: Sicherung des Verständnisses
Der Prüfer gibt die Idee in eigenen Worten wieder, bis der Ideengeber zustimmt, dass er sie richtig verstanden hat.
Schritt 4: Falsifizierungskriterien identifizieren
Der Ideengeber und der Prüfer überlegen sich, unter welchen Bedingungen die Idee falsch sein könnte.
Schritt 5: Kritik formulieren
Der Prüfer nennt ein Gegenargument oder deckt einen Denkfehler auf.
Schritt 6: Kritik entgegennehmen
Der Ideengeber schätzt die Konsequenzen der Kritik für die präsentierte Idee ein und modifiziert die Idee entsprechend. Dann beginnt der Prozess wieder bei Schritt 3.

Fazit: Frohes Gären!

Gedanken zu präzisieren und zu prüfen ist anstrengend, kann aber einen Heidenspaß machen und unglaublich lehrreich und wertvoll sein. Besonders in Situationen, in denen es wirklich wichtig ist, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, und in denen wir uns für die Präzisierung Zeit nehmen können, lohnt es sich enorm, die oben aufgeführten Vorgehensweisen zum Einsatz zu bringen. Natürlich sind sie keine Garantie für eine rundum erfolgreiche Wahrheitssuche. Doch wenn man die Chance erhöhen will, dass die eigene Meinungsbildung effektiver verläuft, sind diese Ansätze die Methoden der Wahl. Wir wünschen viel Spaß und Erfolg!

P.S. Wenn du Lust hast, gleich richtig loszulegen, können wir dir unsere Facebook-Diskussionsgruppe empfehlen, das Denklabor.

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